Simpel

Es gibt Menschen, die mir auf sehr subtile Weise Lesbefehle erteilen, Katrin ist so jemand, und letztlich gab es die Aufforderung Wilhelm Genazinos „Die Kassiererinnen“ auf meinen Lesenachttisch zu legen. Ich bin dem nachgekommen und noch nicht wirklich entschieden ob ich es mag oder nicht; die Nähe zu gewissen Protagonisten bewirkt bei mir eine peinliche Berührtheit. Zwei Stellen,möchte ich hier vortragen, eine nette und eine, die ob ihrer simplifizierenden Kraft befreiend wirkt.

Die Mauern und Hauswände links und recht waren voller Graffti und obszöner Zeichnungen. Ich beobachtete einen etwa fünfzehnjährigen Jungen, der in großer Eile das Wort VOTZE an eine Garagentür sprayte. Danach verstaute er die Spraydose und betrachtete aus einiger Entfernung das Wort. Ich erinnerte mich, daß ich als Schüler das Wort ebenfalls geschätzt hatte. Ich wußte damals nicht ob es mit F oder mit V geschrieben wurde. Das Wort war in keinem Lexikon zu finden, und es war auch nicht möglich jemanden nach der richtigen Schreibweise zu fragen. So schrieb ich es einmal mit F und einmal mit V, und zwar mit Kreide und immer so klein, daß es auf einem Backstein Platz hatte. Das hatte den Vorteil, daß es vom Regen immer wieder weggewischt wurde und ich es immer neu schreiben konnte, ohne je das Wohnviertel wechseln zu müssen.

Das ist nett geschrieben und hübsch erinnert. Aber weiter:

Du hast etwas eindeutig Äußerliches in etwas ebenso eindeutig Innerliches verwandelt..

Das ist so grundlegend, physiologisch als auch psychologisch, und wenn auch nicht eine Welt- so doch zumindest eine Daseinsformel, daß ich einen ganzen Tag mal wieder angeregt meine Wahrnehmungspforten beim Wunder der Wandlung beobachtete. So simpel.